Pling! Das Smartphone leuchtet auf. Wieder abgelenkt. Die Fähigkeit sich länger auf etwas konzentrieren zu können und dabei länger fokussiert zu bleiben, wird immer mehr zur Schlüsselqualifikation erfolgreicher Menschen. Die permanente digitale Kommunikation führt dazu, dass unsere Fähigkeit zur Aufmerksamkeit ständig angegriffen und geschwächt wird. Information verbraucht die Aufmerksamkeit seiner Konsumenten, wie Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert Simon einmal treffend formulierte. Welche Folgen das für unser Gehirn hat, untersucht die Neurowissenschaft seit einigen Jahren und ist dabei zu einigen sehr interessanten Erkenntnissen gekommen.
Aufmerksamkeit aus Sicht der Hirnforschung
willentliche Aufmerksamkeit vs reflexhafte Aufmerksamkeit
Der Wissenschaftler Daniel Goleman, Autor des Buches „Emotionale Intelligenz“, beschreibt zwei Formen von Aufmerksamkeit: Die willentliche Aufmerksamkeit und die reflexhafte Aufmerksamkeit.
Die willentliche Aufmerksamkeit ist der Top Down Mechanismus im Gehirn. Der Verstand (Neocortex) sagt dem Gefühl (Limbisches System) was zu tun ist. Dies hat viel mit Selbstbeherrschung, Disziplin und willentlichen Entscheidungen zu tun.
Die reflexhafte Aufmerksamkeit ist der Bottom Up Mechanismus, der uns aus einem bestimmten Gefühl heraus Entscheidungen treffen lässt. Dies geschieht oft automatisiert und unbewusst. Wir glauben jedoch immer noch häufig, dass wir nahezu alles nach dem Top Down Prinzip entscheiden. In Wirklichkeit wird unserem rationalen Verstand schon lange vor seiner bewussten Entscheidung von unten diktiert, wie er sich entscheiden sollte. Mit ihrem effizienten Belohnungssystem, der ständigen Erreichbarkeit und dem damit verbundenen Druck irgendetwas Wichtiges zu verpassen, sprechen die neuen Technologien perfekt die Bottom Up Mechanismen an. Reflexhafte Aufmerksamkeit wird sozusagen ständig gefüttert, was auf Kosten der willentlichen Aufmerksamkeit geht. Um aus diesen mitunter teils schon zombiehaften Automatismen zu erwachen, braucht es eine gezielte Stärkung der willentlich aktiven Aufmerksamkeit. Die gute Nachricht: diese Aufmerksamkeit lässt sich ähnlich wie die eines Muskels trainieren. Dazu später mehr.
Mythos Multitasking
Zahlreiche Hirnforscher haben mittlerweile in Studien nachgewiesen, dass wir nicht in der Lage sind, unsere konzentrierte Aufmerksamkeit auf mehrere Dinge gleichzeitig zu richten. Wir erliegen hier einer Illusion, die uns durch schnelles Wechseln zwischen den Aufgaben eine Gleichzeitigkeit vorgaukelt. In Wirklichkeit verschwenden wir bis zu 25% unserer Arbeitszeit durch dieses permanente Springen zwischen den Aufgaben. Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als Sägeblatteffekt. Damit ist gemeint, dass wir mit jeder Unterbrechung erst wieder etwas Zeit benötigen, um uns in eine andere Aufgabe wieder einzuarbeiten und voll bei der Sache zu sein. Und kaum sind wir wieder im Thema drin, lässt die nächste Unterbrechung unsere Konzentration und damit auch unsere Leistungsfähigkeit wieder in den Keller rauschen. So entsteht über den Tag verteilt ein Zickzackverlauf der Aufmerksamkeit.
Konzentration und Flow
Der Sägeblatteffekt beraubt uns auch einer Erfahrung, die sich immer dann einstellt, wenn wir in eine Tätigkeit völlig vertieft und mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache sind: dem Erlebnis des Flow. Die Fokussierung der Aufmerksamkeit, also die Fähigkeit seine Konzentration ähnlich einem Scheinwerfer auf einen begrenzten Bereich zu richten, nimmt ab.
Die gute Nachricht: Aufmerksamkeit ist trainierbar
Das Training von fokussierter Aufmerksamkeit ist eine Methode, die sich bereits in 2500 Jahre alten Meditationstechniken wiederfindet. Die bekannteste Form ist die Achtsamkeit bzw. Vipassana Meditation. Sie hat nichts mit Religion oder Glauben zu tun, sondern widmet sich ausschließlich der Konzentration auf ein Objekt, was in der Regel der Atem ist. Durch diesen Wechsel von Außenwahrnehmung hin zu mehr Innenwahrnehmung trainieren wir aber nicht nur unsere Aufmerksamkeit. Wir erfahren in diesem Prozess auch mehr über unsere Emotionen und erhalten mehr Klarheit über innere Werte, die unserem Leben eine bestimmte Richtung und Ausprägung geben.
Aufmerksamkeit und Führungskompetenz
Ein weiterer Vorteil von klarer und offener Aufmerksamkeit ist die Fähigkeit, auch unter Stress und Druck ruhig zu bleiben. Über das verbesserte Bewusstsein der eigenen Emotionen gelingt es uns immer häufiger, aufsteigende Emotionen frühzeitig zu erkennen und sie dann willentlich regulieren zu können. So bleiben Menschen mit verbesserter Selbstregulation bei Ärger eher ruhig oder in schwierigen Situationen eher klar und strukturiert im Kopf. Das ist vor allem für Mitarbeiter mit Führungsverantwortung wichtig. Die Verfassung der Führungskraft kann die Leistung der Angestellten verbessern oder verschlechtern. Führungskräfte, die Emotionen verstehen, wissen, was andere denken und fühlen. Sie können ihr Handeln danach ausrichten. Eine Führungskraft muss emotionale Rahmenbedingungen schaffen, die den Umgang mit Stress und Angst berücksichtigen und dafür sorgen, dass Menschen in einem Umfeld des Vertrauens arbeiten können.
Gezieltes Training von Aufmerksamkeit durch Achtsamkeit unterstützt die Entwicklung von sozialer Empathie, lässt uns zu mitfühlenderen Menschen werden und stärkt so auch unsere emotionale Intelligenz.
Der Autor:
Seit 1998 ist Stefan Spiecker Trainer für Persönlichkeits- und Teamentwicklung. Achtsamkeit, emotionale Intelligenz und Bewusstseinsbildung, Resilienz, Führung und Teamentwicklung sind dabei seine Schwerpunktthemen. Eine Herzensangelegenheit ist die interkulturelle Projektarbeit. Auch in der Freizeit ist er auf der Suche nach der richtigen Perspektive, wenn er fotografisch besondere Augenblicke festhält. Das IME setzt Stefan Spiecker in Inhouse-Projekten ein.