Die Zukunft Personal 2016 ist vorüber. Veranstalter, Aussteller und natürlich das riesige Vortragsprogramm lieferten die unterschiedlichsten Antworten auf Fragen, die unter dem Messemotto „arbeiten 4.0 – the employee experience“ standen: Wie wollen Beschäftigte heute und in Zukunft arbeiten? Was motiviert sie? Welche Qualifikationen brauchen sie für die Arbeitswelt von morgen? Ich war am ersten Messetag vor Ort und möchte den Blog für eine kleine Zusammenfassung des Tages nutzen.
Persönlich hatte ich den Eindruck, dass die Besucher sich stärker als in den Vorjahren thematischen Input bei den Vorträgen holten. Häufig waren die Sitzplätze vor den Foren besetzt und zahlreiche Interessenten folgten dem Inhalt im Stehen. Ob das ein Qualitätsmerkmal für die Vorträge war, möchte ich nicht allgemein beurteilen. Die Vorträge, die ich mir angehört habe, waren durchweg interessant und legten den Fokus darauf, wie Unternehmen beispielhaft mit den Buzz-Words Digital Leadership, Agilität und Digitalisierung umgehen.
Wie Digitalisierung Management und Führung beeinflusst
Thorsten Petry, Professor der Hochschule RheinMain zeigte in seinem Grundsatzvortrag, wie Digitalisierung Unternehmen und Führung beeinflusst. Petry wies dabei noch einmal auf das Gesamtbild einer Wirtschaft hin, die sich im digitalen Umbruch befindet und sich durch volatility (Volatilität), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit) ausdrückt. Oder kurz: VUCA.
Laut Petry setzen Unternehmen, die erfolgreich die digitalen Herausforderungen gestalten, auf das VOPA+ Modell. Dahinter stecken vier (plus eins) Elemente, die erfolgreiche Führung ausmachen: Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität. Das fünfte und zentrale Element ist Vertrauen in die Kompetenzen der Mitarbeiter. Es stellt für Petry die Basis einer wünschenswerten Unternehmens- und Führungskultur im digitalen Zeitalter dar.
Digital Leadership am Beispiel erklärt
Wie Digital Leadership praktisch aussieht, verdeutlichten Thomas Jenewein, „digitaler“ Manager bei SAP Education und Frank Kohl-Boas, Head of HR Northwest, Central & Eastern Europe von Google. Besonders interessant fand ich Thomas Jeneweins persönliche Einschätzung, was eine gute digitale Führungskraft ausmacht. Diese muss:
- Selbsterfahrung mit digitalen Tools und Techniken vorweisen können und den Umgang damit auch vorleben. Zu den bevorzugten Tools des Speakers gehören beispielsweise Podcasts als Lernmedien, Webkonferenzlösungen für Statusmeetings oder Social Media zur externen und internen Kommunikation;
- einen hohen Grad an Selbstorganisation und Selbstverantwortung mitbringen;
- agile Ansätze kennen, anwenden und vermitteln, sowie Freude an der Vernetzung mit Menschen zum gegenseitigen thematischen Austausch mitbringen;
- Mitarbeitern Vertrauen entgegenbringen und Handlungsspielräume zulassen.
Wenn Wissen Macht ist, bleibt die Innovation auf der Strecke
Frank Kohl-Boas gab in seinem Vortrag einen Einblick, wie Google „leading in the digital age“ gestaltet. Auch Google stellt sich immer wieder die Frage, wie Unternehmen handeln müssen, damit sie den „Six D´s of Exponential Development“ gewachsen sind. Aus seiner Erfahrung haben sich vier Strategien als erfolgreich erwiesen:
- Informationsteilhabe und Informationsaustausch: Wenn im Unternehmen der Grundsatz „Wissen ist Macht“ gilt, müssen Führungskräfte damit rechnen, dass niemand Wissen teilen, niemand Ideen weiterentwickeln wird. Die Innovationsfähigkeit des Unternehmens bleibt auf einer niedrigen Stufe. Digitale Unternehmen schaffen ein Umfeld, in dem das „Wissen teilen“ gefördert wird. Dies kann zum Beispiel über cloudbasierte Arbeitsumgebungen, Webmeetings oder Innovation Labs passieren. Google nutzt dafür ein „peer-to-peer learning program“ (g2g, Googler-to-Googler).
- Datengetriebene Entscheidungsfindung: Der Einfluss einer Person im Unternehmen beruht nicht auf dem Status oder der Position, sondern auf der Stärke ihrer Argumente. Unternehmen verfügen heute über so viele Daten zu Kunden oder Prozessen, dass Entscheidungen aus belastbaren Fakten und nicht über den „Bauch“ getroffen werden müssen. Sätze, wie „das haben wir schon immer so gemacht“, „das habe ich im Gefühl“ oder „aus meiner Erfahrung weiß ich“ verlieren an Wirkung. Zahlen fördern die Anerkennung und das Engagement beim Mittragen einer Entscheidung durch die Kollegen.
- Lebenslanges Lernen: Führungskräfte fördern und fordern. Sie bestärken ihre Kollegen, neue Perspektiven einzunehmen, regen an, sich unbekannten Erfahrungen auszusetzen und fördern körperliche und geistige Mobilität.
- Führungsverständnis in digitalisierten Unternehmen: Führungskräfte zeigen Verletzlichkeit. Sie haben nicht auf jede Frage die richtige Antwort, aber sie haben das Gespür dafür, die richtigen Fragen zu stellen. Führungskräfte sind ergebnisoffen. Sie entwickeln mit ihren Kollegen verschiedene Szenarien und lassen sich überzeugen. Führungskräfte entscheiden. Aber sie legen dar, welche Argumente ihre Entscheidung stützen. Führungskräfte sind Coach und Ressourcenbeschaffer. Sie schaffen ein Umfeld, in dem sich die Kollegen entfalten und ihre beste Leistung bringen können. Digitale Leader sind ambiguitätstolerant. Sie halten Widersprüche aus und vereinen widersprüchliche Positionen – aus „Ja, aber“ wird „Ja, und“, aus „entweder, oder“ wird „sowohl, als auch“.
Ist Agilität die Antwort auf die digitalen Herausforderungen?
Professor Stephan Fischer, Hochschule Pforzheim stellt in seiner Einleitung zur Podiumsdiskussion „Agilität – nur Hype oder Lösung der Zukunft“ die Überlegung an, warum Agilität für Unternehmen so wichtig ist. Agilität nennt man die Eigenschaft, um sich kontinuierlich an eine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt und Inwelt anzupassen. Dabei sind Unternehmen verschiedenen Veränderungen ausgesetzt:
- Eine Innovation verändert teilweise den Markt. Bestehende Technologien, Dienstleistungen oder Produkte entwickeln sich weiter.
- Ein mehrdimensionaler, disruptiver Wandel verändert den Markt grundlegend. Bestehende Technologien, Dienstleistungen oder Produkte werden verdrängt.
- Anforderungen an die Inwelt verändern sich durch gesellschaftlichen Wertewandel oder einen Interessenwandel beim Personal.
Agile Unternehmen haben die Fähigkeit entwickelt, diese Veränderungen frühzeitig zu antizipieren, selbst innovativ und veränderungsbereit zu sein, als Organisation zu lernen und dieses Wissen mit relevanten Personen zu teilen. Agilität wird damit zum Faktor für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und das Überleben des Unternehmens.
Wie werden Unternehmen agil?
- Start-Up-Strategie I – Das Unternehmen wird schon als kleine, agile Einheit gegründet.
- Start-Up-Strategie II – Bestehendes Unternehmen gründet ein agiles Tochterunternehmen.
- Agiler Turnaround – Agile Teams erproben agile Techniken und beschleunigen bei erfolgreicher Anwendung den Change im gesamten Unternehmen.
Vertreter deutscher Unternehmen verdeutlichten am Beispiel, wie agile Veränderungsprozesse aussehen könnten. Claudia Huber von Audi berichtet über ihre Erfahrungen, wie die IT bei Audi reorganisiert und fit für die Digitalisierung gemacht wird. Ziel des Veränderungsprozesses ist es, Stabilität in den Kernprozessen zu wahren und gleichzeitig Agilität in ausgewählten Organisationsbereichen sicherzustellen. Personen aus der Linienorganisation bilden dazu Kompetenznetzwerke zu Technologie- und Methodenthemen. Als Erfolgsfaktoren wurden folgende Aspekte ausgemacht:
- Top Management als Treiber der Veränderung,
- mittleres Management übernimmt Integrationsarbeit,
- klare Definition der Übergänge.
Über den agilen Change bei der Deutschen Post referierten Friederike Sternberg und Carsten Blieske der E-POST Development GmbH. Sie schilderten, welche Probleme zu bewältigen sind, wenn agile Strukturen aus einem Tochterunternehmen in den Mutterkonzern überführt werden sollen. Gerade die gegenseitigen, meist widersprüchlichen Erwartungen und Annahmen über die Gestaltung des Change können dazu führen, dass Veränderungskräfte sich gegenseitig auslöschen. Nicht zu unterschätzen sind die Rückkopplungen in die eigentlich funktionierende agile Einheit. Nur die ständige Reflektion und das Hinterfragen der Prozesse schützen vor einer Verwässerung der agilen Techniken. Carsten Blieske betonte, dass man wachsam bleibe müsse, damit agile Teams nicht in eine Art „Freestyle-Scrum“ verfallen.
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