Unter Empowerment versteht man Handlungsoptionen, welche eine stärkere Beteiligung und Einbindung der Mitarbeiter am Arbeitsplatz ermöglichen. Im Interview erklärt Trainer und Business-Coach Roland Hammer, wie Empowerment die Arbeitswelt verändert.
Innerbetriebliche Mitbestimmung, Verantwortungsübernahme oder Demokratisierung der Machtverhältnisse im Unternehmen – das sind Gewerkschaftsthemen, die jahrzehntelang gegen die Unternehmerlobby durchgeboxt werden mussten. Wieso wird das Thema Empowerment jetzt aktiv von Managern angegangen?
Roland Hammer: Mehr und mehr Manager erkennen, dass mit einem Denken in betrieblichen “Lagern” vielen aktuellen Herausforderungen der Unternehmen nicht mehr beizukommen ist. Übrigens nicht nur beim Thema “Führung”. Der Ansatz des Empowerment ist eine geeignete Antwort auf die Situation in vielen Betrieben, nämlich dass mit weniger Personal annähernd dieselben Aufgaben bearbeitet werden müssen.
Welche Ursachen sehen Sie für diese Entwicklung?
Roland Hammer: Unternehmen agieren heute in einem deutlich veränderten Umfeld, das neue Anforderungen an Management und Mitarbeiter stellt. Viele sprechen von einer “VUCA”-Welt: Das sind die englischen Anfangsbuchstaben von “volatil, ungewiss, komplex und mehrdeutig”. Hinzu kommen steigende Kosten und die Notwendigkeit schneller Reaktionen. In der Folge erleben wir oft reduzierte Personaldecken. Gleichzeitig steigt aber die Anzahl der Mitarbeiter, die eine Führungskraft führt. Das funktioniert am besten mit Empowerment.
Führungskräfte arbeiten heute viel mehr in Projekten und an kurzfristigen Zielen. Empowerment stellt also eine Handlungsoption für eine Arbeitswelt dar, in der Manager nicht mehr alle Herausforderungen selbst lösen können?
Roland Hammer: Empowerment gibt den Mitarbeitern größere Spielräume und verlagert die Entscheidungskompetenz dorthin, wo das Detailwissen und die Erfahrung am größten ist – auf den einzelnen Mitarbeiter. Dies ist in der Regel im Sinne von Mitarbeiter und Führungskraft.
Nicht jeder Mitarbeiter kann und möchte mehr Verantwortung übernehmen. Wem Aufgaben und Prozesse von Vorgesetzten oder Maschinen vorgegeben werden, kann nicht plötzlich eigenverantwortlich und kreativ tätig sein.
Roland Hammer: Das ist richtig. Ein Seminarteilnehmer, dessen Unternehmen sich zu einem Wandel in der Führung entschlossen hat, gab mir einmal die Rückmeldung: “Jahrelang wurden in dieser Firma vorwiegend Schafe gezüchtet – und nun sucht ihr plötzlich Wölfe!” Mit diesem Statement sprach er sicherlich einigen Kollegen aus der Seele.
Wie profitieren denn Mitarbeiter von Empowerment?
Roland Hammer: Der Spruch: “Die da oben denken sich aus, was wir wieder ausbaden müssen”, ist ja immer auch eine Unmutsbekundung der Mitarbeiter gegenüber den Unternehmensvorgaben. Deshalb ist Empowerment eine Chance, Mitarbeiter in diese Prozesse einzubinden. Sie gewinnen neue Freiheiten und bauen ihre Aufgabenbereiche aus. Die Stärkung des Entscheidungsspielraumes verbessert häufig die fachlichen Ergebnisse, was die Mitarbeiter vor Ort als sehr befriedigend wahrnehmen. Studien zeigen, dass Verantwortung die Motivation wie auch die Unternehmensbindung erhöht.
Frei nach dem Motto “Hilfe zur Selbsthilfe”?
Roland Hammer: Könnte man sagen. Wenn diesen Prozess Maßnahmen der Personalentwicklung begleiten, können sich die Mitarbeiter in fachlicher wie auch persönlicher Hinsicht enorm weiterentwickeln. Dies steigert die “Employability” des Mitarbeiters, also die Fähigkeit, sich immer wieder auf neue Aufgaben, Arbeitsumgebungen oder Jobs einzustellen und stärkt den individuellen Marktwert.
Was ist bei der Einführung des Management-Modells zu beachten?
Roland Hammer: Wer Empowerment glaubhaft und nachhaltig einführen möchte, muss sich den Bedenken vieler Mitarbeiter frühzeitig stellen. Führungskräfte sollten die Vorbehalte ernst nehmen und ihnen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnen. Auch das Tempo der Veränderung spielt hierbei eine große Rolle. Man darf Organisationen und die darin arbeitenden Menschen nicht überfordern.
Wie werben Führungskräfte am besten für die Übergabe und Übernahme von Verantwortung.
Roland Hammer: Am Anfang des Prozesses – und es ist ein längerer Prozess – steht zunächst noch nicht das “Werben”, sondern vielmehr das “Informieren”. Die Einführung von Empowerment ist nicht in erster Linie Ausdruck eines plötzlichen Sinneswandels bei der Geschäftsführung oder den Führungskräften. Der hohe Veränderungsdruck, die gestiegene Komplexität und die zunehmende Arbeitsverdichtung lassen Unternehmen gar keine andere Wahl, als sich auch in der Führung neu aufzustellen. Hier ist gegenüber den Mitarbeitern und Führungskräften zunächst Aufklärungsarbeit gefragt. Das Management muss den Menschen erklären, dass es problematisch ist, sich auf eine 15 Jahre alte Stellenbeschreibung zu berufen und Verantwortung deswegen abzulehnen.
Welche besonderen Anforderungen ergeben sich für die Beschäftigten, wenn nach den Prinzipien des Empowerments geführt wird? Nicht nur für den Mitarbeiter, sondern auch für viele Führungskräfte, stellt der Übergang zum “Empowerment” in der Tat einen “persönlichen Change-Prozess” dar. Dies beginnt beim eigenen Führungsanspruch und dem Bild vom Mitarbeiter. Die neue Haltung hat viel mit “Loslassen” zu tun. Aber auch Vertrauen in die Mitarbeiter spielt eine große Rolle, denn am Anfang wird es zu Fehlern im Umgang mit den neuen Freiheiten kommen.
Wie sähe diese Freiheits- und Fehlerkultur aus? Wir können ja jetzt nicht ständig alle Fehler machen und das damit entschuldigen, “wer nichts probiert, kann nichts gewinnen”.
Roland Hammer: Kulturveränderung beginnt im Kopf. Chefs müssen sich zunächst vom häufig grassierenden Perfektionismus-Anspruch lösen, vor allem dem eigenen. Dies alleine ist eine enorme Herausforderung. Die Einführung von Empowerment ist ein Weg und keine Anordnung. In der Praxis kommt es bei Fehlern vor allem darauf an, dass Vorgesetzte nicht emotional reagieren und sofort wieder Befugnisse entziehen. Das würde den Entwicklungsprozess torpedieren. Vielmehr sollten mit dem Mitarbeiter gemeinsam Wege gesucht werden, die künftige Fehler minimieren. Ohne Vertrauen wird Empowerment nicht funktionieren. Je früher Führungskräfte dies erkennen, desto besser.
Wie verändert sich der Handlungsspielraum der Führungskräfte?
Roland Hammer: Empowerment verändert die Rolle der Führungskraft: weg vom Entscheider, vom Vormacher, hin zum Coach, zum Begleiter. Die Führungskraft kann sich auf die Kernaufgaben der Führung fokussieren – was ja ihre ureigenste Aufgabe ist. Hinzu kommen Anforderungen im Bereich Gesprächsführung und einzelne Coaching-Techniken. Auch der Selbstorganisation kommt eine erhöhte Bedeutung zu. Hier sollte man Führungskräften entsprechende Qualifizierungen und Unterstützungen anbieten. Der gezielte Ausbau der Kompetenzen von Führungskräften und Mitarbeitern, ist ein Schlüsselfaktor bei der Einführung von Empowerment.
Herr Hammer, vielen Dank für das Interview.
Zur Person:
Roland Hammer ist Trainer und Coach im Auftrag des ime. In den Trainings und Seminaren unterstützt er erfahrene Führungskräfte unterschiedlicher Branchen bei der Umsetzung einer wertschätzenden Kommunikation und dem Aufbau wirksamer Führungstechniken. Er berät und begleitet Unternehmen in Veränderungsprojekten und setzt als Arbeits-und Organisationspsychologe diagnostische Verfahren in der Personalentwicklung und im Talent-Management ein. Für das ime ist er in den Seminaren Führen durch Empowerment im Einsatz.