Interview mit Marion Schopen, Geschäftsführerin des ime
Die Zeiten, in denen Vorgesetzte aus der Vogelperspektive Mitarbeiter führten, sind vorbei. Geteilte Verantwortung, Selbstorganisation und Entscheidungsfreiheit stellen heutzutage den Unternehmenserfolg sicher. Mitarbeiter und Führungskräfte benötigen dafür Fähigkeiten wie Eigeninitiative, Entscheidungsfreude und Veränderungsbereitschaft. Marion Schopen, Geschäftsführerin des Instituts für Management-Entwicklung (ime), spricht über Chancen und Möglichkeiten.
Erfolgreiche Unternehmen erkennen die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen und bieten schnelle, kundenorientierte und zweckmäßige Lösungen an. Frau Schopen, wie müssen Unternehmen sich dafür heute aufstellen?
Marion Schopen: Die Anforderungen des agilen Marktes machen es Unternehmen mit gewachsenen Strukturen und Hierarchien schwer, schnell und bedarfsgerecht zu agieren. Bis Kundenwünsche vom Erstkontakt über alle Unternehmensebenen zum Entscheider gelaufen sind und entsprechende Antworten zurückgeliefert wurden, kann viel passieren. Informationen werden falsch übermittelt, die Voraussetzungen für den Kundenauftrag ändern sich oder der Kunde ist wegen der langen Bearbeitungsdauer längst bei der Konkurrenz gelandet.
Wie können Unternehmen die Digitalisierung nutzen, um sich auf diese Anforderungen einzustellen?
Marion Schopen: Einerseits geht es darum, Prozesse zu automatisieren und zu vernetzen sowie die Vorteile der digitalen Kommunikation zu nutzen. Andererseits wird es immer wichtiger, schneller als andere flexible Kundenwünsche und Marktbedingungen zu erkennen und das eigene Geschäftsmodell anzupassen. Veränderung ist das neue Normal. Die großen Konzerne sind für diese Aufgabe mit ihrer Manpower und Finanzkraft gut gewappnet. Aber in den Klein- und Mittelunternehmen bindet das Alltagsgeschäft alle Ressourcen. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, dass diese Unternehmen trotz guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im Hier und Jetzt die Voraussetzungen für den späteren wirtschaftlichen Erfolg schaffen müssen.
Was genau müssen Klein- und Mittelunternehmen dafür tun?
Marion Schopen: Eine Änderung der Unternehmenskultur ist unausweichlich. Oben wird gedacht, unten wird gemacht – das war viele Jahrzehnte gängige Praxis in der Unternehmensführung. Menschen, die in so einer Arbeitswelt sozialisiert wurden, fällt es natürlich schwer, plötzlich selbstständig zu entscheiden und initiativ zu agieren. Wir brauchen aber Mitarbeiter, die operative Entscheidungen treffen wollen und können, die sich selbst führen, statt nur ausführen. Wirksame Führungskräfte zeigen ihren Mitarbeitern nicht, wie die Dinge getan werden sollen, sondern stärken und unterstützen sowohl jeden einzelnen Kollegen als auch das Team darin, ihr Bestes zu geben.
Wie können Unternehmen diese Menschen finden?
Marion Schopen: Es geht gar nicht so sehr um das Finden, sondern darum, die Veränderungen mit den Menschen anzugehen, die jetzt im Unternehmen tätig sind. Wir sind davon überzeugt, dass sich Menschen entwickeln können. Manchmal bedarf es da nur weniger Impulse.
Können Fähigkeiten wie Entscheidungskompetenz und Eigeninitiative in Weiterbildungsmaßnahmen ausgebildet werden?
Marion Schopen: Wir können in Trainings und Workshops das Bewusstsein schaffen, dass Menschen nicht nur von äußeren Faktoren abhängig, sondern dass sie Gestalter ihrer Arbeitswelt sind. Das fängt schon bei ganz banalen Sachen an. Einmal den Mut aufbringen und dem Vorgesetzten eine Rückmeldung zu seinen Verhaltensweisen zu geben, kann die Zusammenarbeit schlagartig zum Positiven verändern.
Das ändert aber nichts daran, dass Entscheidungen getroffen werden und einer dafür die Verantwortung übernehmen muss, oder?
Marion Schopen: Ja, aber eben nicht die allwissende Führungskraft. Die gibt es nicht. Der global-digitalisierte Markt zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass die Tragweite einer Entscheidung nicht mehr so absehbar ist. Wenn klassisch-analytische Entscheidungsmodelle nicht mehr funktionieren, braucht es alternative Vorgehensweisen. Techniken, mit denen Unsicherheit und Komplexität aufgelöst werden, können trainiert werden. Auch die Frage, wie eine positive Fehlerkultur aussieht und welche Strukturen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unerlässlich sind, lassen sich gut im Seminar thematisieren und in kleinen umsetzbaren Schritten für das eigene Unternehmen adaptieren.
Wer ist vom Veränderungsdruck am meisten betroffen?
Marion Schopen: Das mittlere Management hat eine Schlüsselposition. In Zukunft vermitteln die Sandwich-Manager den Gestaltungsrahmen, in dem sich das Unternehmen bewegt. Indem sie ihre Rolle verändern und echte Verantwortung teilen, schaffen sie einen Raum, in dem Teammitglieder Selbstorganisation und Eigenverantwortung erproben und übernehmen können. Sie organisieren die Wissensströme im Unternehmen, unterstützen Kollegen beim Aufbau von Kompetenzen und stärken die Bereitschaft, die positiven Seiten der Veränderung zu sehen. Das mittlere Management kann die „Keimzelle“ für eine unternehmensweite Veränderung sein.
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Bildnachweis: Institut für Management-Entwicklung (ime)