Viele Seminare gleichen einem All-inclusive Aufenthalt im Internat. Für Übernachtung und Vollverpflegung inklusive Kaffee und Kuchen ist gesorgt, und während tagsüber intensiv unter Betreuung der Lehrkraft im Klassenraum gebüffelt wird, wird abends gemeinsam gefeiert.
Die Schattenseite der Ganztagsbetreuung
Dahinter steckt die bewährte Formel in der Personalentwicklung, die seit Jahrzehnten unternehmens-, branchen- und themenübergreifend angewendet wird:
- Wir nehmen ein Problem bei uns wahr, bzw. Symptome davon (z.B. Demotivation im Team)
- Wir schicken unsere Leute in ein Seminar, um das Problem vermeintlich zu lösen (z.B. Teamentwicklung für Teamleiter)
- Erledigt!
Diese Seminarrealität hat leider eine Schattenseite. Die größte davon ist der fehlende Transfer der Inhalte in den Arbeitsalltag, damit aus „Wissen und Können“ auch „Umsetzen und Etablieren“ wird.
Das Präsenzseminar ist tot – es lebe das Präsenzseminar!
Damit wir uns nicht falsch verstehen. Wir selbst leben als Weiterbildungsanbieter mit Präsenzseminar-DNA seit über 47 Jahren von klassischen Präsenzseminaren (ja, inklusive Kaffee und Kuchen). Und das ist auch gut so. Wir werden diese weiterhin aus Überzeugung als EINEN wichtigen Baustein in der Personalentwicklung erfolgreich anbieten. Das Präsenzseminar oder auch die Live-Online-Variante (dann ohne Kaffee und Kuchen) über 1 – 2 Tage ist und bleibt aus unserer Sicht und aus Sicht vieler unserer Kunden zielführend, um…
- sich über 1 – 2 Tage aus dem Tagesgeschäft rauszuziehen und endlich der persönlichen Weiterbildung Priorität einzuräumen (was in der Alltagshektik zu häufig auf der Strecke bleibt),
- sich mit anderen, die dieselben Herausforderungen haben, in einem geschützten Rahmen auszutauschen und gemeinsam neue Erfahrungen zu machen,
- Kompetenz aufzubauen, indem kurze Wissensinhalte direkt in Trainingssimulationen ausprobiert und reflektiert werden können.
Leider hört es hier für die meisten Teilnehmenden auf. Die wenigsten setzen die Inhalte konsequent um. Natürlich ist das per se nichts Neues (quasi der „kalte Kaffee“ in der Ganztagsbetreuung). Spätestens durch Kirkpatrick wissen wir seit den 1950er Jahren, dass Weiterbildung ein Transferproblem hat.
In den letzten 10 – 15 Jahren hat dieses Thema aber eine Renaissance erlebt rund um Trends, wie z.B. Agiles Lernen (angelehnt an Agiles Arbeiten), New Learning (angelehnt an New Work) oder Lernen 4.0 (angelehnt an Industrie 4.0).
Alles agil oder was?
Was machen wir jetzt damit? Schmeißen wir unsere interne Akademie mit Seminaren wie Neu in Führung und Überzeugend präsentieren über Bord? Ich glaube nicht. Unsere Erfahrung zeigt, dass der klassische deutsche Mittelstand teilweise erst damit anfängt, überhaupt systematisch außerfachliche Weiterbildung anzubieten.
Personalentwickler:innen in kleinen und mittelständischen Unternehmen sind häufig Einzelkämpfer:innen, manchmal mit administrativer Unterstützung fast immer mit nur geringem Budget ausgestattet. Sie leisten enorm viel, um den unterschiedlichen Weiterbildungsanforderungen des Managements, der Belegschaft und der Führungskräfte gerecht zu werden. Oft entsteht unter hohem Zeitdruck der bewährte Seminarkatalog und jeder ist froh, wenn viel Kraft und Enthusiasmus Erfolge zeigen.
Bitte liebe Personalentwickler:innen, nicht falsch verstehen: Uns liegt es fern, den internen Seminarkatalog „kaputtzureden”. Seminare sind richtig und wichtig – bewährte 1- oder 2-tägige Präsenzformate wird es auch zukünftig geben (müssen)!
Es muss nur klar sein, welches Entwicklungsziel erreicht werden kann. Aus unserer Sicht:
Schnelles, konzentriertes Kompetenz-Upskilling im geschützten Raum
Die anschließende Kompetenzumsetzung und das Etablieren im Arbeitsalltag bleiben dabei jedem Teilnehmenden selbst überlassen, im Idealfall mit Unterstützung der jeweiligen Führungskraft. Auch das ist okay.
Eine kontinuierliche Transformation hin zu einer kontinuierlichen, selbstgesteuerten Lernkultur, egal ob persönlich oder als Team, funktioniert so aber leider nicht. Ein Seminar ist eben nur EIN Baustein unter vielen anderen.
Wie könnte der erste Schritt zu einer neuen Lernkultur nun aussehen? Hier ein paar Tipps aus der ime-Erfahrungswelt:
Fang klein an
Um Transformationsprozesse als Personalentwickler:in systematisch zu unterstützen, empfehlen wir klein anzufangen, z.B. indem das 2-Tages-Training auf 2 – 3 Monate gestreckt wird.
Die schlagartige Verbreitung von Online-Lernformaten während der Pandemie hat nämlich solchen längeren Lernpfaden zu Aufwind verholfen. Digitale Transfersessions einige Wochen nach dem Hauptlernmodul sind die Regel geworden und allgemein akzeptiert. Wir wissen jetzt mit Zoom und Co. flächendeckend umzugehen. Und ja, Kaffee und Kuchen gibts auch im Online-Seminar , nur leider nicht mehr All-inclusive, sondern auf Eigenverantwortung der Teilnehmenden.
Die Logik dieser neuen Lernformate: wir machen aus dem prall gefüllten 2-Tages-(Internats-)Seminar einen Lernpfad. Also eine Lernreise, und die auch gern mal in mehreren Wochen/Monaten mit mehreren kurzen Etappen.
Der erste Schritt auf diesem Pfad:
Wir verteilen ein 8 Stunden Trainingspensum (Präsenz oder Live-Online) auf 2 halbe Tage. Dann gehen wir auf eine (kurze!) Selbstlernetappe zur Vorbereitung auf das nächste Training und die kommenden Lernetappen. Anschließend planen wir 1 – 2 (kurze!) Live-Online-Training-Stopps ein. Dazwischen lassen wir den Teilnehmenden etwas Zeit, um das neue Wissen im Arbeitsalltag testen zu können. Auf dieser Lernreise begleiten erfahrene Trainer:innen die Gruppe als persönliche Guides.
Infografik: Vom 2 Tagestraining zum mehrwöchigen Lernpfad mit Selbstlern- und Umsetzungsphasen
Der Campus für Selbstlernende
Im nächsten Schritt dieser Idee eines Campus für Selbstlernende können wir als Personalentwicklung ausprobieren, immer mehr Wissensinhalte zu digitalisieren und online an die Teilnehmenden vorab auszuspielen. Die Live-Sessions nutzen wir hauptsächlich für kollegialen Austausch und Transfercoaching.
Ist das jetzt noch klassisches Training? Oder eher Coaching? Mentoring? Social Learning? Oder Workplace Learning? Ehrlich gesagt, ich finde diese Begriffsdefinition zweitrangig und wahrscheinlich ist es ein Hauch von allem.
Es ist ein Transformationsprozess mit allem, was hilft, diesen zu unterstützen. Der Einfachheit halber spreche ich daher gern von (mini) Trainingsprogrammen. Natürlich gibt es das auch als „große“ Variante, z.B. als ganzjähriges agiles Entwicklungsprogramm für größere Gruppen, oder als intensives 1:1 Trainings-/Coachingprogramm über 3 – 6 Monate. Immer mit dem Ziel „hands-on“ an den Alltagsproblemen zu arbeiten. Und dabei zu lernen. „Learning is the work.“ pflegt Harold Jarche zu sagen.
Was wir gemeinsam tun können
Wenn Sie diese ersten Schritte in Richtung Campus für Selbstlernende in Ihrer Personalentwicklung gehen wollen, oder wenn Sie bereits Erfahrungen mit transformationalen Lernpfaden gesammelt haben und diese auf den Prüfstand stellen wollen, freuen wir uns mit Ihnen darüber zu sprechen.
Hier finden Sie erste Infos zu unserem Social Blended Learning Ansatz
Wer die Ganztagsbetreuung haben will, findet hier die aktuellen Seminare 2023, mit oder ohne Kaffee und Kuchen:
Machen Sie jetzt ein kostenfreies Beratungsgespräch aus, damit wir gemeinsam entscheiden können, was für Ihre Bedarfe Sinn ergibt.
Die Zusammenfassung für Eilige:
- Viele Seminare gleichen All-inclusive Aufenthalt im Internat.
- Einzelseminare sind weiterhin EIN wichtiger Baustein in der Personalentwicklung mit dem Ziel, Wissen und Können der Teilnehmenden in einem geschützten Rahmen ohne große Ablenkung aus dem Alltagsgeschäft zu entwickeln.
- Leider haben klassische Seminare oft ein Transferproblem.
- Um solche Transferprozesse systematisch zu unterstützen, empfehlen wir klein anzufangen und das 2-Tages-Training auf mehrwöchige Lernpfade zu strecken.
- Im nächsten Schritt dieser Idee eines Selbstlerner-Campus können Wissensinhalte mehr und mehr zum Selbststudium digitalisiert werden. Die Live-Formate werden hauptsächlich für kollegialen Austausch und Transfercoaching genutzt.
- Ziel dabei ist immer „hands-on“ an den Alltagsproblemen zu arbeiten und Umsetzungshürden gemeinsam im Lern- und Arbeitsprozess zu nehmen.
Autor: Stephan Labrenz
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