Das Interview führte Ines Martella mit unserer Trainerin Claudia Schmidt.
Wir freuen uns, dass du uns von einer Reihe an Workshops berichten wirst, die du für die Zielgruppe neue kaufmännische und gewerblich/technische Mitarbeitende in einem produzierenden Unternehmen durchgeführt hast. Für je eine Woche wurden dabei jeweils insgesamt 30-40 Teilnehmende durch dich und einen Trainerkollegen von dir begleitet. Die Gruppen setzten sich nach Berufsgruppen zusammen: von Azubis über duale Student:innen bis zu neuen, jungen Fach- oder Führungskräften der jeweiligen Fachgruppen.
Kannst du kurz die Rahmenbedingungen und Ziele dieser Workshops beschreiben?
Bei den Teilnehmenden handelt es sich um Personen, die neu in das Unternehmen einsteigen. D.h. in diesem Fall sprechen wir von wenigen Tagen bis maximal drei Wochen. Aufgrund der unterschiedlichen Einsatzgebiete kennen sich die Kolleg: innen kaum oder gar nicht. In der gesamten Workshopwoche sind zudem die jeweiligen Vorgesetzten der Fachgruppen dabei. Diese sind bereits einige Jahre und teils Jahrzehnte im Unternehmen tätig. Das ist eine spannende Mischung. Hier prasseln Generationen und teils Welten aufeinander.
Die Zielsetzung kurz und knapp: Die Neueinsteigenden bestmöglich ‚onboarden‘, ein WIR-Gefühl erzeugen und die Teilnehmenden zu einem Team zu formen. Inhaltlich geht es neben dem Kennenlernen der Personen auch um die Auseinandersetzung mit der Unternehmens-DNA wie Werte, Kultur und Zusammenarbeit. Das „wie“ lässt Spielraum, um auf die Teamdynamik einzugehen und entsprechend im Tages- und Wochenverlauf zu schauen, wo das Team gerade steht und was es aktuell braucht. Natürlich gibt es eine grobe Planung für die Woche, doch diese wird entsprechend agil der Dynamik angepasst. Aus Trainersicht ist dies eine besondere Herausforderung, gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es das Beste für das Team und folglich auch für das Unternehmen ist.
Im Präsenzformat findet die gesamte Woche außerhalb des Betriebs statt. So gibt es Platz für Outdoor-Übungen und die gemeinsamen Abende unterstützen ebenfalls die Zusammenführung der „Neulinge“.
Mit welchen Methoden habt ihr an den relevanten und oft wenig greifbaren Themen gearbeitet?
Die Erfahrungen und auch die Dynamik innerhalb der fachgruppenspezifischen Trainingsgruppen sind aufgrund der teils heterogenen Zusammensetzung sehr unterschiedlich. Daher ist die Rollenklärung sowohl in der Workshopwoche als auch später im Betrieb wichtig. Welche Methoden und spielerische Ansätze zum Einsatz kommen, entscheiden wir daher im Trainerduo, so dass es zum Team und der aktuellen Situation passt. Klassische Schulungsmonologe, wie beispielweise das Vortragen der Unternehmenswerte, haben in unseren Trainings keinen Platz. Stattdessen führen wir die Teilnehmenden auf individuelle und erlebnisorientierte Weise an die unterschiedlichen Themen heran und lassen sie mitgestalten.
Bleiben wir bei dem Beispiel der Werte. In den meisten Unternehmen wird der Wert „Ehrlichkeit“ angeführt. Doch was genau bedeutet das für mich? Gerade hier sind spielerische erlebnisorientierte Übungen, bei denen es ums Gewinnen geht, ideal. Muss eine knifflige Aufgabe im Team eigenverantwortlich gelöst werden, kristallisieren sich oft schon in den ersten Minuten unterschiedliche Sicht- und Verhaltensweisen heraus. Darf ich um zu gewinnen Informationen für mich behalten? Oder ist es eine bewusste Falschaussage – ein Verstoß gegen den Wert „Ehrlichkeit“? Und wie gehen wir im Team damit um? Diese Erfahrung im geschützten Rahmen spielerisch zu erleben, prägt das Team und ist entscheidend für die künftige Zusammenarbeit. Gleichzeitig ist es eine ideale Möglichkeit, die Kommunikation und die Rollenverteilung im Team genauer unter die Lupe zu nehmen. Sowohl für die Teilnehmenden selbst als auch für die Führungskraft stecken hier wertvolle Erkenntnisse.
Neben den spielerischen Ansätzen funktionieren auch andere leichtgängige Methoden wie „positive Gossip“ (ja, das geht auch hervorragend in der Teamzusammensetzung und bei traditionellen Unternehmen) und körperliche Herausforderungen bei Outdoor Übungen sehr gut. Dabei lernen die Teilnehmenden ihre eigenen Grenzen kennen, und erfahren wie es ist, wenn der Erfolgsdruck auf einem lastet, wie das Gefühl ist es „geschafft“ zu haben oder auch der „Bremsklotz“ zu sein und so als Team zu scheitern. So gerne alle gewinnen, gerade das Scheitern ist für die Gruppe extrem wertvoll.
Wie bereits angeführt bekommen die Teilnehmenden die Methode, die es aus Trainersicht aktuell braucht. Bei einer der letzten Workshopgruppen haben wir z.B. ein Resilienz Modul eingebaut. Wir alle sprechen immer wieder von den Herausforderungen der VUCA Welt, doch wie genau kann jede:r Einzelne sich hier bewegen und wie kann man sich gegenseitig im Team unterstützen? Gerade in der aktuellen Zeit ist es wichtiger denn je und die Akzeptanz in unserer Gesellschaft wächst: Ich kann nur langfristig gute Arbeit leisten, wenn ich auch körperlich und geistig fit bin.
So sehr ich Übungen und spielerischen Ansätze liebe, letztlich ist dabei der Transfer in die Praxis entscheidend. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es bei den Teilnehmenden nur als „nettes Spiel“ gesehen wird. Was wir erzeugen wollen ist, dass sich die Teilnehmenden selbst in unterschiedlichen Situationen erleben, spüren was dies mit ihnen macht und was sie selbst triggert. Letztlich sind es auch Impulse, das eigene Verhalten und die bisherige Denkweise zu überprüfen und in der Praxis umzusetzen.
Gibt es typische AHA-Erlebnisse in solchen Teamworkshops?
Die gibt es immer! Gerade das macht den Bereich der Teamentwicklung auch so spannend. Insbesondere wenn Aufgaben nur gemeinsam zu schaffen sind, ist es beeindruckend zu sehen, wie die Teams die verschiedenen Höhen und Tiefen einer Teamentwicklung in kürzester Zeit durchleben.
Hier sind die typischen AHA-Erlebnisse zu beobachten. Das kann z.B. die Erkenntnis sein, welches Potenzial in der Unterschiedlichkeit liegt und wie dabei aus den verschiedenen Einzelideen eine erfolgsversprechende Lösung entsteht. Auch erleben die Gruppen, wie vermeintliche Kleinigkeiten in der Zusammenarbeit und der Kommunikation zum Scheitern führen und wie sich dadurch die eigene Motivation und die Teamdynamik verändern. Durch das Erleben verankert sich das Gelernte viel besser als bei einer klassischen Schulung. Entscheidend ist hier wiederum, die Reflexion und den Transfer in die Praxis zu begleiten.
Welche Veränderungen und Entwicklungen der Teilnehmenden hast du im Laufe eines Workshops wahrgenommen?
Wie so oft ist es zu Beginn meist noch etwas verhalten. Die Unsicherheit ist bei den meisten zu spüren. Letztlich ist es eine neue Situation und es sind alles Fremde, die nun zusammengewürfelt wurden. Welche Erwartungen werden an mich gestellt? Passe ich hier überhaupt rein? Wie ticken die anderen „Neulinge“?
Das Eis beginnt schon am ersten Tag zu tauen und spätestens am dritten Tag ist es ganz geschmolzen. Denn die Gruppe findet sowohl Gemeinsamkeiten heraus als auch deutliche Unterschiede. Wir müssen nicht alle gleich sein, sondern das Besondere liegt in der Vielfalt. Nun gilt es, diese herauszufinden und bestmöglich als Team einzusetzen.
Natürlich gibt es auch einige Überraschungsmomente, was den ersten Eindruck und das oft unbewusste Schubladendenken angeht. Nicht selten fallen Sätze wie „Ich hätte dich gar nicht so eingeschätzt“ oder „Das habe ich dir nicht zugetraut.“.
Darüber hinaus besteht häufig der Wunsch, auch künftig über den Tellerrand zu schauen und sich abteilungsübergreifend auszutauschen. Weg vom Silodenken hin zu einer wirklich wertschätzenden und wertschöpfungsorientierten Zusammenarbeit. Da schlägt natürlich mein Lean Herz stärker.
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass bei den meisten Teams nicht die Methodik oder das Fachwissen fehlt, um bessere Ergebnisse zu erreichen. Der Erfolgsfaktor liegt in der Teamarbeit. Häufig erlebe ich im Bereich der Produktionsoptimierung Teams, die schon länger zusammenarbeiten, die die gewünschten Ergebnisse jedoch nicht erreichen und messbare Verbesserungen ausbleiben. Neben einigen fachlichen Herangehensweisen liegt der Schlüssel in der menschlichen Zusammenarbeit. Und das kann man sowohl methodisch durch das Lean und Shopfloor Management unterstützen, als auch durch Einzel- und Teamentwicklungen. Genau der Mix ist für mich das Fundament für erfolgreiche Veränderungen.
Welche Unterschiede bestehen bei der Durchführung in Präsenz oder virtuell?
Beide Varianten haben ihren ganz besonderen Charme. Im hier beschriebenen Fall profitieren alle von herausfordernden Outdoor Übungen und den gemeinsamen Abenden. Nicht selten bilden sich so innerhalb der Workshopwoche schon echte Freundschaften. Und wie wir durch verschiedene Studien u.a. vom Gallup Institut wissen, sind Teams besonders erfolgreich, bei denen die Mitarbeitenden sich auch als Mensch gesehen fühlen und einen „besten Freund“ haben.
Meine Bedenken gegenüber virtuellen Team-Workshops waren anfangs, dass ich die Gruppenübungen, gerade bei einer Teilnehmeranzahl von 30+, nicht richtig begleiten und „kontrollieren“ kann. Doch hier lag ich falsch. Tatsächlich ist es sogar teilweise leichter.
Entscheidend ist der Einsatz passender technischer Tools zum interaktiven Zusammenarbeiten und Visualisieren (wie Miro, Conceptboard). Auch virtuelle Räume zum Austausch (wie Trember) funktionieren gut. Zudem machen verschiedene Umfragetools virtuelle Workshops abwechslungsreich und geben auch mir als Trainerin einen schnellen Einblick in die Gruppe.
Bei allen Überlegungen muss letztlich die IT passen und bei den Teilnehmenden die Internetverbindung stabil laufen. Ich stimme daher gerne einen Backup Plan im Vorfeld ab.
Die Verknüpfung von Offline- und Online-Trainingsmodulen findet immer mehr Akzeptanz und sind aus meiner Sicht eine ideale Kombination, um Teams bei ihrer Entwicklung bestmöglich zu begleiten.
Vielen Dank für den umfassenden und spannenden Einblick in deine Arbeit sowie die Schilderung der lebendigen erlebnisorientierten Arbeitsweise mit den Teilnehmenden! So ‚passiert‘ nachhaltiges Lernen ‚ganz nebenbei‘ und mit Spaß und Tiefgang!
Das Interview führte Ines Martella mit unserer Trainerin Claudia Schmidt.
Claudia Schmidt ist Expertin auf dem Gebiet Lean Production und Shopfloor Management. Seit über 13 Jahren ist sie in unterschiedlichen Funktionen und Branchen tätig und begleitet heute Unternehmen dabei, ressourcenoptimal zu produzieren. Dabei dreht sich alles um die Frage „Wie kann es besser gehen?“. Und zwar nicht im Sinne eines kurzfristigen „höher, schneller, weiter“, sondern wie schaffen wir es gemeinsam, unsere Arbeitswelt positiv und nachhaltig zu verändern.
Hier ein weiteres Inhouse-Seminar von Frau Schmidt:
Effektiv führen mit Shopfloor Management und Lean Production