Kommunikation

Peer Steinbrück – das „britische Nashorn“

„Herr Frehmann, wer ist denn aus Ihrer Sicht ein guter Redner?“. Diese Frage stellen mir Teilnehmer in einem Rhetorik- oder Präsentationstraining des Öfteren. Neben anderen nenne ich dann gerne Peer Steinbrück.

Peer Steinbrück – ein Mann, ein Wort! Sprich, was Peer Steinbrück sagt, das meint er auch. Und das ist grundsätzlich gut so. Denn das macht ihn authentisch: Er ist echt, er ist natürlich, er ist ein Original, er ist glaubwürdig.

 

Die Bertelsmann-Stiftung hat im Jahr 2009 eine repräsentative Umfrage gemacht. Hier sollten die Befragten unter anderem sagen, welche Eigenschaft ihnen bei Politikern am wichtigsten sei. Die Antwort mit klarer Mehrheit: Glaubwürdigkeit. Eine Eigenschaft übrigens, die Angela Merkel immer wieder hohe Werte in Polit-Barometern bringt. Das heißt, sowohl Peer Steinbrück als auch Angela Merkel sind authentisch und glaubwürdig. Nur jeder auf seine spezielle Art.

 

Peer Steinbrück ist für mich ein redegewandter Agent Provocateur. Er ist inhaltlich und argumentativ bestens informiert und deshalb selbst kaum zu packen. Seine daraus gewonnene Sicherheit nutzt er, um rhetorisch anzugreifen. Vor allem mit unterschiedlichen Zahlen, Daten und Fakten hämmert er den Nagel der Kritik immer tiefer ins Gewissen der anderen. Er führt ihnen ihre Fehler und ihr stümperhaftes Verhalten gnadenlos vor Augen. Und sein hin und wieder sichtbares schelmisches Lachen signalisiert, dass es ihm Spaß macht. Die Folge: Seine „Gegner“ verstummen oder reagieren unsachlich. So geht Steinbrück gestärkt aus der Debatte mit dem Wissen: Ich bin Peer der Gute.

 

Vor allem nimmt er kein Blatt vor den Mund und redet frei Schnauze. Moritz von Uslar hat Steinbrück in einem Interview des Zeit-Magazins gefragt, ob es „sein Trick“ sei, dass er wirklich etwas sage, wenn er etwas sage. Steinbrücks Antwort: „Das ist kein Trick, sondern dieses Geschwafel passt einfach nicht.“

 

Seine freie Schnauze zeigt sich, indem er provoziert und schlagfertig reagiert. Er bringt Themen kurz und verständlich auf den Punkt. Er redet Klar-Text. Er redet frei, betont wichtige Worte und Aussagen und setzt gezielt Wirk-Pausen ein. Füllwörter sucht man vergeblich bei ihm. Versprecher kommen vor, sind aber selten. Er hat stimmliche Präsenz, dabei eine klare Aussprache und ein angenehmes Redetempo. Rhetorisch spielt er in der Champions-League.

 

Beim Bundeskongress der Jusos 2012 begrüßte er einige der Anwesenden mit: „Alle Ungläubigen begrüße ich auch sehr herzlich.“  Er spricht zu Beginn offen an, dass ein Teil der Delegierten nicht mit seiner Kandidatur einverstanden ist. Er nimmt damit einer kritischen Diskussion den Wind aus den Segeln und traut sich das, was im Raum schwebt, klar zu benennen. Das ist sehr geschickt und unterstreicht seine Souveränität.

 

Als es im Bundestag um das Betreuungsgeld ging, bezeichnete er dieses als „schwachsinnig“.  Seine Parteigenossen nannte er „Heulsusen“. Die Entscheidungen der Bundesregierung qualifiziert er gerne als „Etikettenschwindel“ und attestiert ihr eine schlechte Regierungsbilanz: „Jede Frittenbude in Deutschland wird besser gemanagt als diese Energiewende in diesem Land.“

 

Provokation ist ein wirkungsvolles rhetorisches Stilmittel, um Menschen aus der Reserve zu locken und ins Gespräch zu kommen. Peer Steinbrück setzt dieses Mittel wunderbar ein. Was ihm manchmal fehlt, ist Stil und die richtige Dosis. Und dann kommt das britische Nashorn zum Vorschein. Wie ein Nashorn kommt er langsam in Gang, nimmt dann Fahrt auf und ist nicht mehr zu bremsen. Das Ganze unterfüttert er dann noch mit einer ordentlichen Portion Ironie nach britischem Vorbild. (Übrigens sind Nashörner aus diesem Grund Steinbrücks Lieblingstiere.)

 

Andreas Bornhäußer bezeichnet Steinbrück deshalb in einem Artikel der Zeitschrift wirtschaft & weiterbildung als „rhetorischen Polter-Peer“. Er empfiehlt ihm, Provokationen besser zu dosieren, denn es gehe auch darum Wertschätzung und Wohlwollen zum Ausdruck zu bringen. Dem stimme ich zu, denn zu wenig davon wirkt stillos, unhöflich und arrogant.

 

Hans-Uwe L. Köhler behauptet, genau Steinbrücks arrogante Kompetenz mache ihn attraktiv als Redner. Das ist richtig. Redner, die anecken und den Mut haben, sich mit gestandenen Persönlichkeiten anzulegen und ihnen die Leviten zu lesen, sind erfolgreich.Steinbrück wird diese Seite nicht komplett ablegen können, es gehört zu ihm und macht ihn authentisch. Dennoch sollte er sein arrogantes Verhalten auf ein Minimum reduzieren. Laut einer Forsa-Umfrage von Anfang 2013 würden nur noch 22 Prozent der Bürger Peer Steinbrück wählen. Die zwei Gründe dafür: Er sei unsympathisch und arrogant. Und Arroganz ist die Basis für Antipathie.

 

So überragend Steinbrück rhetorisch ist, so durchschnittlich ist seine körpersprachliche Wirkung. Die Körpersprache von Peer Steinbrück sagt eindeutig, dass wir es mit einem standfesten und von sich überzeugten Menschen zu tun haben: aufrechter Gang, gerade Schultern, nach vorne gerichtete Kopfposition. Er strotzt vor Selbstbewusstsein, es fließt bei ihm durch jede Pore. Und hier tanzt Steinbrück auf rutschigem Parkett, denn der Sprung vom Selbstbewusstsein zur Arroganz ist manchmal ein kleiner.

 

Was ihn sympathischer machen würde, wäre ein Lächeln. Er kann es, wenn er will. Er will aber selten. Wenn er es tut, wirkt es gelassen und authentisch. Gut zu sehen in der ARD-Reportage „Steinbrücks Welt“ von 2012. Dort ist er weniger in der Rolle des aktiven Politikers gefragt. Und genau das lässt ihn locker, entspannt und fröhlich erscheinen. Schlüpft er in die Rolle des Politikers, der dann auch noch Rede und Antwort stehen muss, verliert er diese Lockerheit und der Terrier kommt ans Tageslicht: verbissen, bissig und beißend. Herunterhängende Mundwinkel und zusammengepresste Lippen verstärken dies und machen keinen sympathischen Eindruck. Zusammen suggerieren sie den Eindruck, dass er unzufrieden, verärgert und genervt ist.

 

Seine Gestik ist eindimensional – ähnlich wie bei Angela Merkel. Beide sind sparsam und eintönig in ihren Hand- und Armgesten. Was bei Angela Merkel das „Dach“ der Hände vor dem Körper ist, sind bei Peer Steinbrück die Arme, die parallel nach oben und unten schwingen. Diese Geste setzt er ein, wenn ihm etwas wichtig ist. Dann betont und untermalt er seine Worte. Mehr passiert aber auch nicht. Abwechslungsreichere Gesten würden ihn dynamischer, offener und lockerer wirken lassen. Wenn Steinbrück sitzt, fällt sein Trommeln mit den Fingern auf. Ein klarer Hinweis darauf, dass er gereizt und ungeduldig ist und vielleicht auch damit provozieren will.

 

Mein Fazit:

Peer Steinbrück sollte grundsätzlich so bleiben, wie er ist. Ein kleiner Schliff an seiner Rhetorik, ein etwas größerer an seiner Körpersprache – und alles ist okay. Seine Ecken und Kanten sowie seine unbequeme Art sollte er auf jeden Fall behalten. Das ist sein Markenzeichen, das macht ihn authentisch. Wie es wirkt, wenn jemand versucht sich alle Ecken und Kanten abzuschleifen, konnten wir 2002 an Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten sehen. Er wirkte unnatürlich, gekünstelt und fremdgesteuert.

 

Inhaltlich fehlt Steinbrück noch eine Kernbotschaft. Auch da liegt eine Chance für ihn. Eine gute Kernbotschaft spinnt einen für alle erkennbaren roten Faden und erreicht die Wähler emotional. Die SPD steht für Soziale Gerechtigkeit, Peer Steinbrück für Wirtschaftskompetenz. Viele Journalisten halten dies für ein unüberwindbares Problem. Das sehe ich ganz anders: Vielleicht lässt sich genau aus diesem Gegensatz etwas Neues spinnen. Gegensätze sind immer auch eine Chance auf positive Erfolge.

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