Erfahrene Expert:innen dringlich gesucht?
Das bisher weitgehend unausgeschöpfte Potenzial der Generation 50plus: Eine Reserve auf dem Arbeitsmarkt, die ungeahnte Möglichkeiten bietet.
Gespräch mit dem Geschäftsführer und dem HR-Leiter eines mittelständischen Maschinenbaubetriebes in Rheda-Wiedenbrück. Das Familienunternehmen ist seit 60 Jahren erfolgreich auf dem Markt, es zählt rund 300 Mitarbeitende, man war glücklich, wenig Fluktuation im Personalbestand zu haben. Aber jetzt? „Da rollt eine Welle auf uns zu. 2023 gingen auf einen Schlag 15 Leute in den Ruhestand.“ Und mit diesem Problem steht das Unternehmen nicht allein: Das Statistische Bundesamt prognostiziert, dass bis 2036 sukzessive rund 13 Millionen Menschen den Arbeitsmarkt verlassen. Rund 30 Prozent aller Erwerbstätigen gehen in die Rente. Und mit ihnen unglaublich viel Erfahrung, Wissen und praktisches Know-how. Kleinbetriebe, Mittelständler, Konzerne – die gesamte Wirtschaft ist mit diesem Problem konfrontiert.
Und nun? Was tun?
Junge Nachwuchskräfte allein können das Problem nicht lösen
Schon rein zahlenmäßig nicht. Ca. 8,5 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 15 bis 24 Jahren werden in den nächsten Jahren in das Erwerbsleben eintreten. Es gibt keine verlässlichen Prognosen, wie weit Zuwanderung und Eingliederung von Geflüchteten den Arbeitsmarkt entlasten könnten. In jedem Fall gilt: Alle jungen Nachwuchskräfte müssen erst einmal ausgebildet werden und Erfahrungen sammeln, bevor sie wirksam dazu beitragen können, den Fachkräftemangel zu entschärfen.
Der Schatz im Silbersee
Es liegt auf der Hand, dass die weitere Beschäftigung und Aktivierung von Menschen im Alter von 50- oder 60plus ein immenses Potenzial zur Entlastung des Arbeitsmarktes bieten. Wohlgemerkt, wir reden nicht von der Verlängerung des gesetzlichen Renteneintrittsalters.
Aber, und diese Erfahrung machen Personaler im beruflichen Alltag tagtäglich: Viele Mitarbeitende sind durchaus offen dafür, ihre aktive Zeit im Unternehmen noch ein paar Jahre zu verlängern – wenn man ihnen das passende Angebot macht. Dem trägt auch die Regelung Rechnung, dass seit Januar 2023 die bisher geltende Hinzuverdienstgrenze für vorgezogene Altersrenten aufgehoben wurde.
Zudem entsteht ein neuer Arbeitsmarkt von High Potentials, die im Ruhestand sind, oft finanziell ausgesorgt haben, aber hoch motiviert sind. Sie sind durchaus interessiert und bereit, ihre erstklassige Expertise weiterhin für Wirtschaft und Gesellschaft einzubringen, als Projektleiterinnen, Interimsmanager und Leader auf der C-Ebene. Ein hochinteressanter Arbeitsmarkt, den Jobcenter, Personalvermittler und auch die meisten Headhunter nicht bedienen und der deshalb noch weitgehend unausgereizt ist. Arbeitgeber nehmen hier ihre Chancen noch nicht einmal annähernd wahr. Wie oft wohl sprechen versierte HRler dieses Potenzial gezielt auf der Karriereseite des Unternehmens an, zum Beispiel so: „Wir suchen versierte, erfahrene Fachkräfte im Bereich XYZ – und freuen uns sehr über Bewerbungen von älteren Expert:innen“? So gut wie nie.
Dabei ist auch dieser Gesichtspunkt nicht zu unterschätzen: Diese Hochkaräter:innen stehen meist kurzfristig und auch zu interessanten Konditionen zur Verfügung. Ein interessiertes Unternehmen mit einem kurzfristigen, aktuellen Bedarf muss diese Senioren nicht mit einem unbefristeten Vertrag locken und binden – denn das wollen sie gar nicht – und auch nicht mit einem sechsstelligen Salär einstellen. Wir reden natürlich nicht von ehrenamtlichem Engagement – aber von überschaubaren Budgets und Rahmenbedingungen.
Was sind die besonderen Bedingungen des 50plus-Arbeitsmarktes?
In dieser Altersgruppe geht es nicht mehr ums Karrieremachen und Sich-Beweisen-Wollens. Menschen in dieser Altersgruppe wissen, was sie können. Sie wollen selbst entscheiden, zu welchen Konditionen sie arbeiten: Wie viele Stunden, zu welchen Arbeitszeiten, im Homeoffice oder vor Ort und vor allem für welche Projekte. Sie haben recht konkrete Vorstellungen, unter welchen Bedingungen ihr Einsatz, ihr Wissen und ihre Erfahrungen für ein Unternehmen sinnvoll sein kann.
Ob es darum geht, Mitarbeitende für einen längeren Verbleib im bisherigen Unternehmen zu motivieren oder Expert:innen mit einer speziellen Aufgabenstellung auf Zeit für eine bestimmte Aufgabenstellung zu engagieren: Unternehmen müssen sehr flexible und individuelle Lösungen anbieten.
Es empfiehlt sich unbedingt, die Voraussetzungen für funktionierende, altersdiverse Teams zu bedenken und zu klären. Die Älteren sollten keine Besserwisser sein wollen, die Jüngeren wiederum deren Erfahrungsschatz würdigen und bewusst in das Team einbinden. Das Team und das Projekt führen sollten die Jüngeren – die Älteren sich als Ratgeber anbieten.
Das geht oft nicht ohne begleitendes Coaching. Lohnt sich aber und macht Teams in vieler Hinsicht erfolgreicher.
Das Maschinenbau-Unternehmen aus Rheda-Wiedenbrück ist mit seinem „Weg in die Seniorität“ schon gut am Start. Die ersten Mitarbeitenden haben schon Verlängerungsverträge unterschrieben.
Autorin: Adelheid Blecke, Unternehmensberaterin und Marketingstrategin