Kommunikation, Management, Zusammenarbeit

Ist Change das neue “Normal”?

Interview mit Christof Hahn zu den Voraussetzungen wirksamen Veränderungsmanagements

Christof Hahn ist Trainer und begleitet komplexe Veränderungsprojekte in Unternehmen. Ich habe ihn dazu befragt, wie sich Change Management in den letzten 20 Jahren verändert hat und warum Change Management nach wie vor eine Berechtigung hat, auch wenn immer wieder das Ende des Konzepts beschworen wird. Gern stelle ich den Beitrag in der Blogparade Change – Wie schlagen wir Brücken von Alt zu Neu? zur Diskussion.

 

Als John P. Kotter 1994 im Harvard Business Review den Beitrag „Den Wandel führen: Warum Transformationsbemühungen scheitern“ veröffentlichte, traf er wohl einen Nerv der Zeit. Das aus diesen Überlegungen entstandene Buch „Leading Change“ ist ein Standardwerk im Veränderungsmanagement. Herr Hahn, wie kann dieser Erfolg begründet werden?

 

Kotter erkannte als Erster, dass für das Management von Veränderungen in Organisationen eine systematische Vorgehensweise notwendig ist. Deshalb hat er ein pragmatisches Acht-Schritte-Vorgehensmodell mit einfachen Grundprinzipien entwickelt. Seine Veröffentlichung entfachte eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Change Management.

 

Schon 2012 hat Kotter selbst im Harvard Business Manager festgestellt, dass die alten Change-Methoden den immer schnelleren Marktanforderungen nicht mehr gerecht werden würden.

Die Relevanz des Zeitfaktors ist unbestritten. In einem VUCA-Umfeld (Volatility,Uncertainty, Complexity, Ambiguity) können Unternehmen es sich nicht mehr leisten, auf ständig ändernde Rahmenbedingungen mit aufwendigen Großprojekten gemächlich zu reagieren. Anpassungen müssen vielmehr schnell gehen und Unternehmen müssen dazu äußerst beweglich sein.

 

In welchen Punkten unterscheidet sich Change Management heute von dem ursprünglichen Acht-Schritte-Modell?

In seiner ersten Veröffentlichung ging Kotter noch davon aus, dass es für die Durchführung von Change-Projekten besonders auf ein kompetentes und schlagkräftiges Kernteam im Top-Management ankommt. Unter VUCA-Bedingungen brauchen Unternehmen jedoch nicht nur einige wenige, sondern viele Beteiligte, die aus verschiedenen Perspektiven die Veränderungen im Unternehmensumfeld beobachten und darauf reagieren können. Deshalb ist heute ein „kollektiver“ Ansatz im Change Management mit vielen veränderungswilligen Führungskräften und Mitarbeitern erforderlich.

 

„Im Change stärker Emotionen, Dialogfähigkeit oder Konflikte berücksichtigen“

Was bedeutet das für die Arbeit in Change Projekten?

Durch Sachargumente allein lässt sich kaum jemand für Veränderungen begeistern. Dieser Aspekt ist wichtiger denn je. Führungskräfte, Projektleiter und Change Agents müssen in ihrer Arbeit die sogenannten „weichen Faktoren“, wie Emotionen, Dialogfähigkeit oder Konflikte in ihren Change-Aktivitäten stärkt berücksichtigen. Aus meiner Erfahrung tun sich viele Verantwortliche damit immer noch schwer.

 

Wie kann das gelingen?

Es ist wichtig, alle Anstrengungen in größere Sinnzusammenhänge zu stellen, damit sie von möglichst vielen mitgetragen werden können. Worauf es ankommt sind mehr Führung und weniger Management: also klare und attraktive Zielrichtungen, Flexibilität, Inspiration, Beteiligung und Innovation statt ausgefeiltem Projektmanagement, unumstößlichen Budgetpläne und starren Zuständigkeiten. In vielen Unternehmen ist eine hierarchische Struktur allerdings nach wie vor das dominierende Organisationsmodell, die das verhindert. Kotter schlägt deshalb zum Beispiel vor, bestehende klassische Strukturen schrittweise um flexible Netzwerke zu ergänzen. So können Arbeitsbedingungen entstehen, die eine schnelle Reaktion auf sich ändernde Rahmenbedingungen ermöglichen.

 

2017 ist im HRM immer noch zu lesen, dass die Zeiten des klassischen Change Managements vorbei seien.

Das ist sicherlich eine Schlagzeile, die eine klare Position ausdrückt. Allerdings lassen sich die Prinzipien und Erkenntnisse der klassischen Change Ansätze auch noch unter den neuen Rahmenbedingungen für Change-Projekte nutzen.

 

Sind die Manager dann einfach nur beratungsresistent?

Soweit würde ich nicht gehen. Wir haben angesichts der Vielzahl an Literatur auch weniger ein Verständnisproblem als ein Umsetzungsproblem. In der Praxis hinken wir leider dem hinterher, was uns auf einer intellektuellen Ebene unmittelbar einleuchtet. Aus der Vielzahl von Studien zum Change Management und aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die von Kotter und anderen Autoren herausgearbeiteten Erfolgsfaktoren in der Praxis schlicht zu wenig beachtet, auf das eigene Unternehmen übertragen und umgesetzt werden. Das wirkt sich im VUCA-Umfeld dann besonders nachteilig aus.

 

„Change ist Chefsache!“

Was sind denn wesentliche Hindernisse für ein wirksameres Change Management im VUCA-Zeitalter?

Ich habe es schon oft erlebt, dass schwierige Change-Vorhaben an die nächste Hierarchieebene delegiert wurden. Vermutlich ahnten die TOP-Manager, dass es heikel werden könnte und waren froh, nicht selbst im Fokus zu stehen. Ein solches Vorgehen rächt sich immer dann, wenn es ernst wird, meist mit weitreichenden negativen Folgen für alle Projektbeteiligten. Daher gilt: Change Management ist eine exklusive Führungsaufgabe und bleibt Chefsache. So gesehen ist der Begriff Change Management leider unglücklich, denn gefordert sind bei Veränderungsinitiativen vor allem Leadership Qualitäten. Das Top-Management darf sich also nicht aus der Verantwortung ziehen.

 

Welche Fehlerquellen führen noch zum Scheitern von Change-Projekten?

Weitere Hindernisse liegen in unflexiblen Strukturen sowie in der nach wie vor mangelnden aktiven Einbindung der Mitarbeiter durch die verantwortlichen Führungskräfte. Diesem Aspekt wird in Unternehmen immer noch zu wenig Beachtung geschenkt. Oft unterschätzen oder verkennen die Führungskräfte den Nutzen einer regelmäßigen dialogischen Kommunikation mit den Betroffenen. Die dafür erforderlichen Mittel werden nicht zur Verfügung gestellt, eine funktionierende Fehler- und Feedbackkultur fehlt meistens ganz.

 

Auch im Change gilt: Miteinander statt übereinander reden?

Natürlich. Leider wird eine intensivere Kommunikation in Change-Projekten – die über das bloße Infomieren hinausgeht – oftmals von überkommenen Vorstellungen zur Führung erschwert oder verhindert. Eine wesentliche Herausforderung in der Zukunft wird daher sein, die Vorstellung von Führung und die organisatorischen Strukturen den aktuellen Herausforderungen anzupassen. Das Konzept der sogenannten „agilen Führung“ ist eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen, die sich uns in der VUCA-Welt stellen.

 

„Change ist ein permanenter und eigenständiger Unternehmensprozess“

Wir erleben gerade eine ungeheure Veränderung des Produktionskreislaufs, die sowohl den Handwerker von nebenan als auch das international agierende Unternehmen betrifft. Wollen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, müssen sie ihre strategische Ausrichtung in immer kürzeren Zeiten überdenken und verändern. Ist Change das neue „Normal“?

Absolut. Change ist mittlerweile die Regel statt die Ausnahme. Veränderung hat den Nimbus des Besonderen verloren und ist im Unternehmensalltag nicht mehr nur temporär in wenigen Unternehmensbereichen wahrnehmbar, sondern durchdringt permanent die gesamte Organisation. Führungskräfte und Mitarbeiter haben sich daran gewöhnt, dass Change zum Tagesgeschäft dazugehört. Change Management muss deshalb heute als permanenter und eigenständiger Unternehmensprozess verstanden werden, der genauso wie andere betriebliche Prozesse professionell zu führen ist.

 

Was bedeutet das für das Management von Veränderungsprojekten heute?

Es lässt sich beobachten, dass in den Unternehmensleitungen das Bewusstsein und die Bereitschaft wachsen, in Change-Prozesse mehr zu investieren und die Entwicklung von Menschen sensibler, umfassender und kontinuierlicher zu begleiten. Allerdings fehlen oftmals die Kompetenzen, die für die Umsetzung in Veränderungsprozessen eigentlich notwendig wären.

 

Haben Sie ein Beispiel?

Christof Hahn: Für mich als Berater und Trainer ist es immer wieder erstaunlich, dass die klassische Veränderungskurve, die grundlegend für ein tieferes Verständnis von Change-Prozessen ist, häufig im oberen und mittleren Management nicht oder kaum bekannt ist. Das Modell ist leicht nachzuvollziehen und zeigt: Alle, die Change-Prozesse führen und begleiten, müssen die unvermeidlichen negativen Emotionen aushalten, ernst nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. In der Praxis werden Veränderungsprojekte aber oft noch überwiegend kognitiv-rational betrachtet und mit klassischen Projektmanagementmethoden „durchgeplant“. Um wirksam Veränderungsprojekte zu gestalten, benötigen die Verantwortlichen dagegen zusätzlich spezielle Instrumente, die der Natur des Menschen und den heutigen Rahmenbedingungen besser entsprechen. Methoden wie Storytelling, Design Thinking oder Open Space Formate sind in der Unternehmenspraxis bisher noch wenig verbreitet und müssen eingeübt werden.

 

„Emotionalität statt Rationalität“

Was ist aus Ihrer Sicht als Trainer besonders notwendig, um die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Change Management unter VUCA-Bedingungen zu verbessern?

Christof Hahn: Die wenigsten Chefs und Führungskräfte schütteln die erforderlichen sozial-emotionalen und methodischen Kompetenzen einfach so aus dem Ärmel. Die Change-Kompetenz der Führungskräfte müsste nicht nur punktuell, sondern systematisch geschult und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit vor allem die fachliche Qualifikation ausschlaggebend für die Übernahme einer Führungsaufgabe war, gibt es in den Unternehmen enormen Nachholbedarf. Change Management gehört mittlerweile zu einem Schwerpunktthema in der Führungskräfteentwicklung. Eins ist sicher: VUCA führt dazu, dass Unternehmen ihre Kompetenzen im Bereich Change Management zukünftig ausbauen müssen. Ein Blick in die Stellenanzeigen ist ein Beleg dafür. Unternehmen suchen vermehrt Change Manager und Organisationsentwickler: Stellenbezeichnungen, die es vor einigen Jahren noch kaum gab.

 

In unseren Seminaren legen wir viel Wert auf praxisnahe Inhalte und Methoden, die im Arbeitsalltag leicht umgesetzt werden können. Wie realisieren Sie das in Ihren Trainings?

Da ich selbst Veränderungsprozesse begleite und meine Teilnehmer meistens ebenfalls Erfahrungen zum Thema mitbringen, kann ich auf unterschiedliche Praxisfälle im Seminar zurückgreifen. Anhand dieser Fälle werden die im Seminar behandelten Modelle hergeleitet und Methoden ausprobiert, die in realen Change Projekten zum Einsatz kommen. Dadurch wird das Thema für die Teilnehmer gut erlebbar. Sie können Ihre Erfahrungen im Seminar reflektieren und erhalten viele Anregungen für alternative Vorgehensweisen in ihrem Alltag. Zudem setze ich einen Mix von Lern- und Aktivierungsmethoden aus verschiedensten Disziplinen der Veränderungsarbeit ein: vom Coaching bis zur systemischen Organisationsentwicklung.

 

Herr Hahn, vielen Dank für das Gespräch.

 

Christof Hahn, Trainer im Auftrag des imeZum Autor: Christof Hahn ist Experte und begleitet komplexe Veränderungsprojekte in Unternehmen. Für das ime führt er die Seminare Change Management I und II im offenen Seminarprogramm durch. In seinen Trainings spricht Christof Hahn die Teilnehmer mit einem Mix aus hohem Praxisbezug, methodischer Kompetenz und gelungener Interaktion an. Er unterstützt Menschen dabei, zukünftige Veränderungsprojekte in einem ausgewogenen Verhältnis an emotionaler Begeisterung, zielstrebigem Management und wertschätzender Kommunikation anzugehen.

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