Krisen gehören zum Leben und Menschen haben unterschiedliche Strategien damit umzugehen. Bei dem einen perlen Schicksalsschläge scheinbar ab. Andere ziehen sich zurück und verlieren den Lebensmut. Wie sind diese Unterschiede zu erklären?
Heidrun Vössing: Wie Personen mit Belastungen umgehen, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Persönliche Einstellungen und individuelle Fähigkeiten beeinflussen unsere psychische Widerstandskraft. Und natürlich gehen Menschen, die wissen, dass sie schon ganz andere Herausforderungen überstanden haben, leichter mit Ungewissheit um. Das Maß an Widerstandskraft hängt also davon ab, wie es einem Menschen gelingt, auf innere und äußere Ressourcen zurückzugreifen.
Hat dich die Corona-Krise in deinen Grundfesten erschüttert?
Natürlich hat mich die Situation beruflich als auch privat beschäftigt und ich musste mir klar darüber werden, was diese Situation überhaupt bedeutet und welche Auswirkungen sie hat. Dazu habe ich mich in verschiedenen Medien informiert. Auch war es mir wichtig mit Menschen aus meinem nahen Umfeld darüber zu sprechen und zu hören, wie sie die Situation wahrnehmen und einschätzen. Dann habe ich meine analytischen und intuitiven Fähigkeiten genutzt, um zu einer Einschätzung zu gelangen.
Und das hilft?
Verstehbarkeit ist ein wichtiger Punkt, um psychisch widerstandsfähig zu bleiben; das ist aus den Forschungen des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky bekannt. Wenn ich nicht verstehe, was um mich herum passiert, löst das starken Stress aus.
Welche inneren Faktoren hast du bemüht?
Es war hilfreich für mich meine Aufmerksamkeit nicht nur auf die Begrenzungen zu lenken; d.h. auf das, was zurzeit nicht geht, wie beispielsweise die stornierten Präsenztrainings, die abgesagte Reise oder das Treffen im Freundeskreis. Stattdessen habe ich versucht meine Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was gerade möglich ist. Ich hatte schon vorher die Idee ein Buch zu schreiben. Corona hat mir den letzten Impuls gegeben, meine Erfahrungen aus zahlreichen Coaching-Sitzungen in ein Booklet zum Thema Selbstcoaching einfließen zu lassen.
Was hat dir dabei geholfen, die positiven Seiten dieser Situation in den Blick zu nehmen?
Für mich war es sehr wichtig, möglichst oft nach draußen zu gehen, für einen Spaziergang oder eine Wanderung und der Natur beim Wachsen zuzusehen. Die Natur hat ja einfach weitergemacht und war genauso schön anzusehen wie im letzten Jahr. Ich habe meinen Garten genossen, für den ich zudem dankbar bin und den Vögeln beim Baden zugeschaut.
Außerdem ist mir erneut bewusst geworden, wie wichtig vertrauensvolle und tragfähige Beziehungen sind. Ich habe auch den Eindruck, dass diese Beziehungen zu nahen oder auch etwas entfernteren Menschen dadurch intensiver geworden sind.
Ist das nicht auch beruhigend zu wissen, dass das Leben einfach weitergeht.
Ja, wenn man die Zeit nutzt und sich mit der Zukunft beschäftigt. Ich habe mir bewusst gemacht, dass diese besondere Zeit vorübergehen wird, auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, wann das sein wird. Und ich habe ich mich gefragt, welche beruflichen und persönlichen Ziele mir wirklich wichtig sind. Mein Eindruck aus meinem direkten Umfeld ist, dass andere Menschen das auch getan haben, indem sie sich beispielsweise beruflich neu orientiert haben.
Wird uns Menschen die Widerstandskraft in die Wiege gelegt?
Nein. Resilienz ist ein dynamischer Prozess gelungener Anpassung an ungünstige Bedingungen. Die Resilienzforschung entspringt ursprünglich der Entwicklungspsychologie der 1970er Jahre. Es wurden Risikoeinflüsse auf die Entwicklung von Kindern untersucht. Neu dabei war, dass der Blick sich stärker auf die Kinder richtete, die sich trotz sehr schwieriger familiärer Verhältnisse sehr gut entwickelten. Dies führte wiederum zu einem Paradigmenwechsel. Es ging jetzt nicht mehr in erster Linie darum, was Individuen belastet oder krank macht, sondern vielmehr um die Frage nach Schutzfaktoren oder was Menschen auch unter schwierigen Bedingungen widerstandsfähig macht. Erst viel später wurden diese Erkenntnisse auf Erwachsene oder Belastungen in der Arbeitswelt übertragen.
Wie kannst du Menschen dabei unterstützen die Widerstandskraft zu stärken?
Als Systemischer Coach stelle ich die richtigen Fragen und unterstütze den Coachee dabei Klarheit über die eigene Lebenssituation zu gewinnen. Es geht darum, Bewältigungsstrategien zu erkennen und in konkreten Situationen anzuwenden. Die Kunst besteht dann darin, Interventionen anzubieten, damit Menschen ihr Leben möglichst krisenfähig gestalten können.
Welche Interventionen sind das?
Das Resilienzkonzept beschreibt sieben Dimensionen. Das sind die drei Grundhaltungen Optimismus, Akzeptanz und Lösungsorientierung sowie die vier Schlüsselfähigkeiten emotionale Selbstführung, Eigenverantwortung, soziale Unterstützung und Zukunftsorientierung. Durch die Unterscheidung in diese sieben Dimensionen lassen sich konkrete Ansätze finden, um die jeweilige Dimension zu stärken. Es gibt Menschen, die sich in schwierigen Situationen eher fragen ‚Warum passiert ausgerechnet mir das?‘ oder ‚Wer ist schuld?‘. Das ist eine problemorientierte Herangehensweise, die meist nicht weiterhilft. Als Coach kann ich lösungsorientierte Fragen formulieren und den Menschen dazu führen andere Bewältigungsstrategien zu erkennen. ‚Was hilft mir jetzt konkret, um gut mit den einzelnen Schwierigkeiten umzugehen?‘ ‚Was kann ich aus der Situation lernen?‘ oder ‚Welche Aspekte sind positiv zu bewerten?‘ sind alternative Ansätze, mit denen sich Menschen ein krisenfestes Mindset zulegen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Heidrun Vössing ist Diplom Pädagogin, Lehrtrainerin und Lehrcoach, DVNP und Coach Master Trainerin. In ihrem neuen Buch „Krisen annehmen und daran wachsen. Resilienz Hacks und Impulse fürs Selbstcoaching“ zeigt sie Wege zur Stärkung der persönlichen Widerstandskraft auf. Das Arbeitsbuch gibt dem Leser viele Tipps und Empfehlungen, wie es gelingen kann, in schwierigen Situationen nicht zu verzagen, sondern die eigene Entwicklung selbstbestimmt in die Hand zu nehmen und bewusst zu steuern.